NEUE SACHLICHKEIT

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Contemporary Fine Arts freut sich, die Gruppenausstellung Neue Sachlichkeit anzukündigen – mit neun Künstlerinnen, die diese hundertjährige Kunstbewegung in der Gegenwart neu interpretieren.

„Ich muß Sie malen! Ich muß!“, sagt Otto Dix zu Sylvia von Harden, als er ihr auf der Straße begegnet. „Sie repräsentieren eine ganze Zeitepoche!“ 

Die ‚Neue Frau’ der 1920er-Jahre hatte ihren Schrank von den schweren Kleidern befreit, die die Generation ihrer Mutter belastete, sie durch eine Zigarette und einen kesseren Bubikopf ersetzt – und war bereits zu ihrem eigenen Mythos geworden. Diese Flâneuse, die in den Schaufenstern der Kaufhäuser nach dem neuesten Mantel oder ihrem eigenen Spiegelbild Ausschau hielt, wurde schnell zum Inbegriff von Konsum und Eitelkeit.

Auch wenn die künstlerische und literarische Bewegung der Zeit, die Neue Sachlichkeit, ihren desillusionierten, post-avantgardistischen Blick auf die alltäglichen politischen und sozialen Verhältnisse der Weimarer Republik richtete und der Sentimentalität und Innerlichkeit, wie sie der Expressionismus vertrat, den Rücken kehrte, blieb das Bild der ‚Neuen Frau‘ eher ein Klischee als ein Spiegelbild des weiblichen Alltags. Diese erstarrte, größtenteils von den Medien geschaffene Ikonographie wurde von den Künstlerinnen und Schriftstellerinnen der Zeit in ihren vielen Facetten hinterfragt und erforscht. Ohne Frage „die Neue Frau der Weimarer Republik gab es nicht, doch es gab jede Menge Neue Frauen.“ Dennoch waren bis vor kurzem die meisten von ihnen vergessen, von der Kunstgeschichte ignoriert. 

100 Jahre später: vieles hat sich geändert, vieles aber eben auch nicht. Den Impuls zu dieser Ausstellung gab die Wahrnehmung einer globalen Schwemme von figurativer Malerei in den vergangenen Jahren. 

Inmitten der allgegenwärtigen Phänomene digitaler Bildwelten greifen die zeitgenössischen Künstlerinnen dieser Ausstellung die Begriffe Objektivität und Faktizität durch ihre unterschiedlichen Auffassungen von Figuration und Repräsentation wieder auf. In einer Zeit, in der es die Flâneuse nicht mehr gibt, und die Scrolleuse ihren Platz einnimmt – in der sich die Welt unter unseren Fingerspitzen entfaltet –, werden das Reale und das Surreale zwangsläufig miteinander vermischt. 

Von den gesichtslosen Frauen, über die einäugigen, bis hin zu körperlosen Brüsten und Stilettos aus Weizen werden weibliche Archetypen humorvoll neu verhandelt – dabei zugleich übernommen und über Bord geworfen. So bekommt Mutter Natur in Reinholds psychodelisch bunten Bergen eine ganz neue Bedeutung, ebenso wie in Smiths Rekonfiguration von Daphnes verwurzeltem Fuß in Form eines Stöckelschuhs.

Die Medien berauben weiterhin Frauen ihrer Schönheit, um sie ihnen dann lediglich zurückzuverkaufen. So wird die Fragmentierung des weiblichen Körpers in Bednarskys kolossalen Brüsten ohne Körper auf ergreifende Weise angedeutet, während Belangers Self Image, das im Spiegel verschwindet, ebenso schmerzhaft vertraut wie befremdlich wirken kann. Voyeuristische Neugier wird durch Facciolas Latex-Pferdekostüm geschürt, aber letztendlich von einem überdrüssigen Blick ertappt und von Merrills verspieltem Diptychon verwirrt – während der nachdenkliche Blick von Seibs rosa Dame gleichzeitig unwiderstehlich und unangenehm ist.

Die weiblichen Subjekte in den Gemälden dieser Ausstellung mögen den neugierigen männlichen Blick enttäuschen, regen aber stattdessen zu einer aktiven Untersuchung ihrer psychischen Zustände an. Bei Berkenblits karikaturhafter, überdimensionaler Figur könnte man sich genötigt fühlen, herauszufinden, was in diesem überproportionierten Kopf vor sich geht, während man auf der Suche nach der Grenze zwischen dem Absurden und dem Hypothetischen in Schutz’ Gouachen auch gleich aufgeben könnte.

Selbst in der Blütezeit der Neuen Sachlichkeit galt die figurative Malerei vielen Vertretern der Avantgarde durchaus als rückwärtsgewandt. Seitdem wurde sie immer wieder für überholt, obsolet und gar tot erklärt. In der neueren Malerei ist die objektive Darstellung von Wirklichkeit kaum noch ein Ziel, da das Reale, das Imaginäre und das Virtuelle gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die neue(ste) Sachlichkeit könnte also diejenige sein, die weiß, dass es sowas überhaupt nie gab.



Contemporary Fine Arts is proud to present New Objectivity, a group exhibition featuring nine artists reimagining the century-old art movement in the present. 

“I must paint you! I simply must!” said Otto Dix to Sylvia von Harden when he ran into her on the street. “You are representative of an entire epoch!”

Clearing out her closet of the heavy dresses that burdened her mother’s generation and replacing them with a cigarette and a perky bob, the ‘New Woman’ of the 1920s had become a myth of its own. The famed flâneuse, gazing at displays in department store windows, be it for the newest coat or her own reflection, she quickly became the image of consumerism and vanity. 

Even though the artistic and literary movement of the time, New Objectivity, had turned its disillusioned, post-avantgarde eye toward the everyday political and social conditions in the Weimar Republic and its back on sentimentality and inwardness as championed by Expressionism, the image of the ‘New Woman’ remained a cliché rather than a reflection of women’s everyday lives. This frozen iconography, largely created by the media, was being challenged and explored in her many facets by the female artists and writers of the time. Until recently, many of them have been half-forgotten. Without question, “the New Woman of the Weimar Republic didn’t exist, but there were plenty of new women.” 

Fast forward a hundred years and a lot has changed, but a lot hasn’t. Amidst the all-pervasiveness of digital image phenomena, contemporary artists gathered in this exhibition revisit the notions of objectivity and facticity through their distinct takes on figuration and representation. Indeed, in a time when the flâneuse is no more and the scrolleuse takes her place, as the world unfolds at our fingertips, the real and the surreal are bound to get mixed up. 

From the cropped and faceless women, over one-eyed ones, to bodiless breasts, and stilettos made of wheat, female archetypes are humorously renegotiated, at once adopted and discarded. Thus, for instance, Mother Nature acquires a whole new meaning in Reinhold’s landscape radiating with psychedelic colors, as it does in Smith’s reconfiguration of Daphne’s rooted foot as a high heeled shoe.

While the media continues to strip women of their beauty only to sell it back to them, the fragmentation of the female body is poignantly indicated in Bednarsky’s colossal breasts without a body, while being face-to-no-face with Belanger’s Self Image disappearing in the mirror might feel as painfully familiar as it is alienating. Voyeuristic curiosity might be teased in Facciola’s latex horse suit but is ultimately shamed by a weary stare and baffled by Merrill’s frisky diptych, while the pensive gaze of Seib’s pink lady is at once irresistible and discomforting. 

The female subjects in paintings gathered in this exhibition might disappoint the prying male gaze but prompt an active investigation of their psychic states instead. With Berkenblit’s cartoonish, larger-than-painting character, one might be compelled to go and try to figure out what is going on inside that overproportioned head, whereas the seeker of the boundary between the absurd and the hypothetical in Schutz’s gouaches might just as well give up right away.

Even in the heydays of New Objectivity, figurative painting was considered a backward-looking business in the eyes of the proponents of the avant-garde. Since then, it has been declared outmoded, obsolete, and even dead. In recent painting, objective representation of reality is hardly anyone’s goal, while the real, the imaginary and the virtual come together as equals. The new(est) objectivity might as well be the one that knows that there was never such a thing in the first place.

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