Angelika Loderer ist eine Bildhauerin, die Figuratives zur Abstraktion zwingt. Ihre Vorstellungskraft entspringt der Wildnis selbst. Wie die Natur vorschreibt, verhält sich der menschliche Körper wenn auch nach den eigenen organischen Gesetzen. Um einer skulpturalen Nomenklatur Leben einzuhauchen, muss zuallererst das Formen-Embryo verwandelt werden, ähnlich einem erweckten Golem, dem die Lebendigkeit geschenkt wird. Zeit steht still. In genau diesem Zwischenraum sind Divergenzen von Bewegung und Entropie angesiedelt. In Loderers Wachsausschmelzverfahren manifestiert sich im Endergebnis der Form die Kausalität, nämlich genau dann, wenn die Schichten des Wachses willkürlich zerlaufen und an einem bestimmten Punkt in ihrer Form erstarren. Der Zufall steuert das Geschehen. In Gestik und Pose der Fragmente erhaschen wir einen Hauch Charakter und Menschlichkeit. Es kann keine Rede sein von der ganzen Gestalt, höchstens vom Fragment der Gestalt.
Jegliche physikalische Kraft, eingebettet und kontrolliert durch die Thermodynamik der Materie, baut mit. Dementsprechend spricht die Natur durch Loderers Gefäße als Eingriffe in die Materie. Nichts ist zufällig oder alles ist zufällig. Zeit verbiegt sich. In ihrer brutalistischen Modellierung ist ein entferntes Echo des Archaischen zu spüren, den antiken skulpturalen Techniken und Materialien, die aus der Erde gewonnen, in Bronze und – für die Ausstellung bei CFA – Aluminium gegossen, Treue haltend. Isolierte anatomische Verweise, wie vergrößerte, ergreifende Hände, umklammernde Arme, Beine, Füße und verkümmerte Torsos, ähneln den Phasen des Monds. Sie haben bereits ihre Bewegungszyklen vollendet und ruhen sich auf ihren eigenen ausgestreckten Gliedern aus.
Als reine Figuration verwandelt Loderer Muskelsehnen in rubeneske zweite Häute – von weich und verformbar bis hart und dicht. Eine Hand verwandelt sich in ein Bein, das sich wiederum in den Fuß verwandelt; die äußere Hälfte eines Arms und einer Hand erscheinen als skulpturale Handschuhe, während sich umklammernde Hände in geschwollene Handschuhe verwandeln, die so krude sind wie die Hände im späten Picasso-Porträt „Paloma“ (1951). Ein Wandregal mit Straußeneiern ist eine symbolische Anspielung auf Loderers exaltierte bukolische Wanderungen in Wald und Wiese. Dort passen sich tierische, mineralische und pflanzliche Formen den sich ständig verändernden Bedingungen an. Ein gefällter Baum legt eine sonst verborgene Öffnung frei, in die sich ein wildes Tier eingraben kann; geologische Erosion schafft neue Topologien; dieser Mikrokosmos der Verwandlung von einem Ding in ein anderes treibt Loderers radikale Ovidsche Dekonstruktion des menschlichen Körpers voran.
Angelika Loderers skulpturale Sprache ist in Gewicht und Volumen die fleischgewordene Wirklichkeit selbst, eine Spiegelung der Formen, die das Dauerhafte vom Vergänglichen trennen soll. Eingebettet in die metallische Oberfläche und die rauen Fältchen sind die kleinsten Details als Mikrotribute von Muskelsehnen und Transplantate der faserigen Haut selbst sichtbar. Und wenn dieses anatomische Gefühl der schweren mittelalterlichen Körperpanzerung vertraut erscheint, so ist es vor allem eine Erinnerung an archäologische Ausgrabungen, an gepriesene romanische Katakomben und an rudimentäre Steinbauten, die mit Metallbolzen, Scharnieren und dekorativen Elementen überladen sind.
Angelika Loderers spartanische Installationen sind eine szenische Dramaturgie körperloser Charaktere – ein maskenloses „Noh“-Theater in Anlehnung an Friedrich Kieslers „David“, 1964-1965. Lediglich die gestischen Positionen der umherschweifenden Phantomkörper deuten eine Erzählung in der Inszenierung an. In der aufkommenden Science-Fiction-Ära der synthetischen Biologie und der Genkartierung sind Loderers skulpturale Etüden gegensätzlicher Kräfte eine Metamorphose des einundzwanzigsten Jahrhunderts – der Druck/Zug der Schwerkraft und der Zeit, still wie ein archäologisches Grab. Sie betten sich ein in die Strömungen der Bildhauerei um 2023, doch die voluminösen Metalle sind der Gegenpol zu den schnellen, automatisierten Produktionsmethoden des 3D-Drucks.
Die Künstlerin hält in diesen chimärenartigen Reliquien aus dem Schmelzofen klassischer Technik und Materialeigenschaften die Treue, wendet jedoch gleichzeitig deren Innerstes nach außen. Loderer erfindet die Regeln neu und schafft etwas Neues und Eigenartiges. Der verbindende Faden eines sich wiederholenden Prozesses sorgt für eine weitere Ähnlichkeit, denn die Materie wird mit der Geometrie gewichtet und die Geometrie ist ihr exzentrisches „Skelett“, das durch phantasmatische Kraftlinien kristallisiert wird.
Die Skulpturen von Angelika Loderer beeindrucken durch ihre gleichzeitige Fragilität und Prekarität. Ihnen wohnt eine eigenartige Kraft und Schönheit inne. Das Idealbild des Körpers ist eine Erfindung der klassischen Bildhauerei, deren Symmetrie- und Ordnungsregeln Loderer aufhebt und umstößt. In der Einheit der disparaten Teile werden die inneren Ebenen der Wirklichkeit nach außen transportiert, denn die körperlichen und chemischen Körper gehorchen den Gesetzen der Schwerkraft in einer ständigen Metamorphose. In idyllischen Hirtenlandschaften sind Pflanze und Mensch eine Erweiterung des jeweils anderen. So beschwören Loderers geschmolzene Metalle des Lebens die immanenten Substrate von Körper und Geist als Gefäße der Psyche. Wie in der Natur, so im menschlichen Körper, so schließt sich der Kreislauf, und das hat etwas Lyrisches.
Max Henry
Angelika Loderer is a sculptor that bends figuration into the abstract. Her imagination is of wilderness itself. As it is in nature so it is in the human body, albeit unto its own material laws. To breathe life into a sculptural nomenclature one has to transform the embryo of a form, like a golem brought to life endowed with vital matter. Time stands still. In that interstitial space there are polarities of movement and entropy. In Loderer’s lost wax process causality plays a role in determining the final outcome of the sculptures while layers of wax randomly drip, then solidify in place. Chance sets the controls. In the gesture and pose of the fragments we sense character and humaneness. One cannot say this is the whole person, merely the fragment of the person.
All physical forces, rightly in place and controlled in the thermodynamics of matter, are builders. Thus, nature speaks through Loderer’s vessels as interventions of matter. Nothing is accidental; everything is incidental. Time bends. In their brutalist modeling, a remote echo of the archaic is felt, owing fidelity to antique sculptural techniques and materials mined from the earth, cast in bronze, and, for the CFA exhibition, aluminum. Isolated anatomical indices, i.e., distended clasping hands, embracing arms, legs, feet, and atrophied torsos are like phases of the moon. They have lived their cylces of motion and are now at rest standing upon their own protruded limbs upon the floor.
As pure figuration, Loderer transforms muscle sinew into Rubenesque second skins – from soft and malleable, to hard and dense. A hand morphs into a leg that in turn morphs into the foot itself; the outer half of an arm and hand appear as sculptural gloves, while clasping hands morph into swollen mitts as “ungainly” as the hands in the late Picasso portrait “Paloma” (1951). A wall-mounted shelf with ostrich eggs is a symbolical nod to Loderer’s exalted bucolic wanderings in forests and meadows. There, animal life, mineral, and plant forms adapt to everchanging conditions. A felled tree exposes an otherwise hidden orifice for a creature of the wild to burrow in; geological erosion creates new topologies; this microcosm of transforming from one thing into another drives Loderer’s radical Ovidian deconstruction of the human body.
In weight and volume, Angelika Loderer’s sculptural language is elaborated fleshly reality itself, a mirroring of shapes conceived to separate the lasting from the transitory. Embedded within the metallic finish and rough crevices, the minutest details are visible as micro-tributeries of muscle sinew and grafts of fibrous skin itself. And, if this anatomical feeling of heavy medieval body armour looks familiar, it is very much a sense memory of archeological excavations and of vaunted Romanesque catacombs, and rudimentary stone edifices heavily laden with metal bolts, hinges, and decorative elements.
Angelika Loderer’s spartan installations are a staged dramaturgy of disembodied characters – a “Noh” theater without masks in the vein of Friedrich Kiesler’s “David”, 1964-1965. Only the gestural positions of wayward phantom bodies hint at narrative in the mise en scène. In the nascent sci-fi era of synthetic biology and gene mapping, Loderer’s sculptural etudes are a twenty-first century metamorphoses of opposing forces-the push/pull of gravity and time, silent as an archeological tomb. They are contemporaneous with the currents of sculpture circa 2023, yet the voluminous metals are antithesis to fast, automated production methods where 3D printing is concerned.
This adherence to classical technique and material properties has been turned inside out in these chimerical reliquaries from the blast of the furnace. Loderer reinvents the rules, making something new and peculiar. The binding thread of an iterative process makes for another similitude, for matter is weighted with geometry and geometry is their eccentric “skeleton” crystallized through phantasmic lines of force.
One is struck by the simultaneous fragility and precariousness of Angelika Loderer’s sculptures. They hold a strange power and beauty unto themselves. The ideal image of the body is an invention of classical sculpture; Loderer defies and upends its rules of symmetry and order. In the unity of disparate parts the inner planes of reality are externally conveyed; for corporeal and chemical bodies adhere to the laws of gravity in a continual metamorphoses. In idyllic pastoral settings plant and humans are extensions of each other. Thus, Loderer’s molten metals of life conjure the immanent substratums of the body and mind as vessels of the psyche. As it is in nature so it is in the human body, thus the cycle is completed, and there is a lyricism to that.
Max Henry