Der Goldene Reiter
in Faustrecht der Freiheit
aka Fox and His Friends
Die beste Entfernung für zwei Personen ist,
ein Meter zwanzig zu suchen,
überdrüssig der Bäume,
überdrüssig der Stadt,
Musik: Oh, sweet
nothing
Washington ist nichts
anderes, beim Drüberfliegen,
nachts, als eine Menge Funzeln in der
Dunkelheit,
und wie fällt man
in die Liebe?
und hier bin ich wieder,
abgeschnallt.
Ich bin nicht bereit zu glauben,
daß die Augen der Spiegel dessen sind, was man sieht.
Rolf Dieter Brinkmann: Westwärts (1975)
Cosima von Bonin
Cecily Brown
Genieve Figgis
Sarah Lucas
Sophie Reinhold
Dana Schutz
Elaine Sturtevant
Raphaela Vogel
Georg Baselitz
Werner Büttner
Peter Doig
Angus Fairhurst
Günther Förg
Nick Goss
Eberhard Havekost
Gregor Hildebrandt
Martin Kippenberger
Jonathan Meese
Raymond Pettibon
Norbert Schwontkowski
Dash Snow
Tobias Spichtig
Spencer Sweeney
Tal R
Wolfgang Tillmans
Herbert Volkmann
Christopher Wool
Keiner hat den deutschen Nachkriegsfilm so revolutioniert wie Rainer Werner Fassbinder (1945–1982). Die radikalen künstlerischen Bestrebungen, die er während seiner kurzen, fruchtbaren Karriere verfolgte, leben bis heute fort und sind die treibende Kraft hinter der Gruppenausstellung Der Goldene Reiter in Faustrecht der Freiheit aka Fox and His Friends. Der Impuls dieser Ausstellung, verschiedene zeitgenössische Positionen zusammenzuführen, besteht explizit nicht darin, einen von den teilnehmenden Künstlerinnen illustrierten oder kommentierten Überblick über das Leben und Werk von RWF zu geben.
Die anlässlich des 75. Geburtstages von RWF konzipierte Ausstellung entlehnt ihren Titel dem Film Faustrecht der Freiheit (1975) und inszeniert einen Dialog zwischen dem Film und zeitgenössischen Kunstwerken, der auf Assoziationen und atmosphärischen Verbindungen sowohl zu RWFs kreativen Schaffen als auch zu seiner kulturellen und politischen Gegenwart gebaut ist.
Franz Bieberkopf aka Fox, der Protagonist des Films, ist ein Antiheld der Arbeiterklasse, ein Trottel für die Liebe und ein klassischer Verlierer von Fassbinder, der seiner eigenen Romantik zum Opfer fällt. Nachdem er im Lotto gewinnt, werden seine Gefühle und Mittel ausgenutzt und schnell hat er nichts mehr übrig. Das Bewegende, Tragische und Melodramatische ist ein entscheidendes Element von Fassbinders ästhetischem Konzept, das zwischen dem Privaten und dem Politischen, dem Intimen und dem Sozialen, dem Bizarren und dem Alltäglichen schwankt und sich der Fragilität und Ausbeutbarkeit menschlicher Gefühle und dem Versagen menschlicher Beziehungen unter sich ändernden sozialen Umständen widmet.
Der direkte, plakative Stil seiner Filme wird in Form einer Ausstellung nachgeahmt, die einen Querschnitt unabhängiger Segmente darstellt, die jeweils einen Eindruck, eine Wahrnehmung oder einen Gedanken enthalten, der mit der vorausschauenden Poetik des RWF verbunden ist. Von offensichtlicheren Referenzen wie dem Porträt von Irm Hermann von Wolfgang Tillmans über subjektiv neuinterpretierte öffentliche Toiletten als Cruising-Hotspots in Raphaela Vogels Uterusland (2018) bis hin zu einer erotischen Darstellung des Vergnügens in Patrick More (2013) von Sarah Lucas, diese Ausstellung mit ihrer mosaikartigen Erzählung ist als eine Reise von Fragment zu Fragment im Hinblick auf die radikale ästhetische Verschmelzung von Sexualität, Politik und Biographie des RWF konzipiert.
Seine stark polarisierende Persönlichkeit, sein Zigaretten-, Drogen- und Alkoholmissbrauch sowie seine Stellung als radikaler Außenseiter in einer bürgerlichen Gesellschaft, bestätigen den Mythos des Künstlers als „das geniale Monster“. Dieses Klischee des einsamen Genies spiegelt sich in der Wand mit den Portraits großer Künstler wider, die als kompromisslose Figuren präsentiert werden und von Auguste Rodin und Paul Gauguin bis zu RWFs Zeitgenossen Joseph Beuys und kontrovers diskutierten Künstlern wie Jonathan Meese reichen.
So wie Brinkmanns oben zitiertes Gedicht eine Collage von Momenten ist, die die Heterogenität unserer Wahrnehmung widerspiegeln, das nicht als konsequent entwickelte Erzählung, sondern als Sprung von Fragment zu Fragment gelesen wird, so ist die aktuelle Gruppenausstellung ein subjektiver Querschnitt von zeitlich und intuitiv verwandten künstlerischen und popkulturellen Bruchstücken. Diese Auswahl von Werken ist sowohl eine Hommage an RWF, als auch ein Liebeslied an die künstlerische Praxis als Ganzes, die die Grenzen des Verständnisses der menschlichen Natur und Emotionen und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten markiert.
Nobody has revolutionized German post-war cinema quite like Rainer Werner Fassbinder (1945–1982). The radical artistic aspirations he pursued during his short but fruitful career live on up to this day and serve as a driving force behind the group exhibition Der Goldene Reiter in Faustrecht der Freiheit aka Fox and His Friends. Bringing together various contemporary positions, the impulse of this exhibition is, rather than to provide an overview of his life and work, to shed new light on his long-lasting artistic authority, his aesthetic innovation and subversive politics.
The exhibition borrows its title from RWF’s film Fox and His Friends (1975) as a tribute to his complex legacy on the occasion of what would have been his 75th birthday and stages a dialogue with contemporary artworks through associations and atmospheric connections to both his creative output, as well as what was his cultural and political present.
Franz Bieberkopf aka Fox, the film’s main character, is a working-class antihero, a sucker for love and a classic Fassbinder type of loser who falls victim to his own romanticism. Having won the lottery, his feelings and means are exploited, and he is quickly left with nothing. The moving, the tragic and the melodramatic are a crucial part of Fassbinder’s aesthetic concept, which oscillates between the private and the political, the intimate and the social, the bizarre and the mundane, and is devoted to the fragility and exploitability of human emotions and the failure of human relationships under changing social circumstances.
The direct, pithy style of his films is mimicked in the form of an exhibition which provides a cross section of independent segments that each contain an impression, a perception or a thought associated with RWF’s anticipatory poetics. From more obvious references such as the portrait by Wolfgang Tillmans of one of Fassbinder’s favorite actresses Irm Hermann, through the subjective reinterpretation of public toilets as cruising hotspots in Raphaela Vogel’s Uterusland (2018), to an erotic display of pleasure in Patrick More (2013) by Sarah Lucas, this exhibition with its mosaic-like narrative is conceived as a stream of consciousness, a journey from fragment to fragment with regard to RWF’s radical aesthetic merging of sexuality, politics and biography.
A highly polarizing figure, Fassbinder’s cigarette, drug and alcohol abuse as well as his standing as a radical outsider to a bourgeois society reify the myth of the artist as “the ingenious monster”. This cliché of the solitary genius is mirrored through imagery of great artists ranging from Auguste Rodin and Paul Gauguin, to RWF’s contemporary Joseph Beuys and controversial personalities such as Jonathan Meese, presented as uncompromising figures.
Just as Brinkmann’s poem cited above is a collage of moments that reflect the heterogeneity of our perception, read not as a consistently developed narrative but as a hopping from snippet to snippet, so is the current group exhibition a subjective cross section of temporally and intuitively related artistic and pop-cultural fragments. This selection of works is as much an homage to RWF as it is a love song to artistic practice as a whole, marking the limits of understanding human nature and emotions and their possibilities for expression.