Traurigerweise ist diese unsere zweite Ausstellung mit Werken Walter Pichlers eine posthume. Noch zu Lebzeiten allerdings baten wir den Künstler um eine weitere Präsentation, euphorisiert von seiner großartigen Ausstellung im MAK 2011 und noch nachhaltig beeindruckt von unserer eigenen ersten Schau mit Pichler, mit der wir 2007 unsere neuen Galerieräume Am Kupfergraben hatten einweihen dürfen. „Es ist doch der Kopf “ hatte Pichler selbst diese Ausstellung bei uns betitelt. Ausgehend von seiner Arbeit an der Skulptur „Schädeldecke (wie ein Gebäude)“ sichtete der Künstler sein gesamtes zeichnerisches Œuvre nach Werken zum Thema Kopf und fand erstaunlich viel – von frühen architektonischen Entwürfen über traumhafte Aufzeichnungen bis zu Skizzen von Raumsituationen. Dieses thematische Herangehen, eine Recherche innerhalb des eigenen Werkes nach einem bestimmten Aspekt, war eine für Pichler neue Vorgehensweise, waren doch bis dato seine Ausstellungen entweder als museale Retrospektiven angelegt oder dem jeweils aktuellen architektonischen Projekt gewidmet.
Wir haben – gemeinsam mit Elfi und Anna Tripamer – bei dieser zweiten Ausstellung wieder dieselbe für Pichler ungewöhnliche Herangehensweise gewählt, sie also erneut thematisch konzipiert und uns nicht auf ein architektonisches Projekt und die dazugehörigen Zeichnungen fokussiert.
Wir machten uns also darüber Gedanken, welches Motiv im Œuvre von Pichler über die Jahrzehnte immer wieder auftaucht, welches Moment das Werk essenziell durchzieht und dennoch nie im Fokus einer Ausstellung stand. Die wichtigste Herausforderung in Pichlers Überlegungen, auch seinen architektonischen, ist der Mensch und das Menschliche, „wie die große Anzahl von Zeichnungen zur Figur und dem dualistischen Prinzip Skulptur/Architektur belegt“, so Bärbel Vischer im Katalog der Ausstellung im MAK 2011. Menschliches Maß ist sämtlichen seiner nachutopistischen Architekturmodellen eigen. Nicht grundlos ist der Nukleus seines skulpturalen und architektonischen Schaffens ein Bauernhof, von Menschen erbaut und die Geschichte von Generationen von Menschen – später auch ihn und seine Familie – beherbergend. Die menschliche Gestalt ist also das Thema, demgemäß wir die ausgestellten Zeichnungen und Skulpturen über den gesamten Zeitraum seines künstlerischen Schaffens auswählten. Eher unbewusst treten wir eine Vervollständigung der „verkopften“ vorausgegangenen Schau an, zeigen eine ganzheitliche im Unterschied zu der auf Schädeldecken beschränkten Betrachtungsweise. Walter Pichler war selbst ein zutiefst ganzheitlich denkender und arbeitender Mensch und Künstler, sodass ihm dieses Konzept hoffentlich gefallen hätte.
Den skulpturalen Kern der Ausstellung bilden die Skulpturen „Bett“, „Kleiner Rumpf“, „Alte Figur“, „Schlafender“ und „Der dritte Vogel“. Der Mensch wird geboren und er stirbt. Dazwischen lebt, liebt, arbeitet und schläft er. Er liegt, sitzt, steht und geht. Und wenn er gläubig ist und ein anständiges Leben gelebt hat, so fährt er vielleicht in den Himmel auf.
Der Katalog jedoch widmet sich bewusst ausschließlich den Zeichnungen. Bereits seit den frühen 1970er Jahren hat sich die Zeichnung bei Pichler von seiner architektonischen und bildhauerischen Arbeit emanzipiert, seit 40 Jahren also ist das zeichnerische Werk nicht mehr Neben- und Begleitprodukt. Die die menschliche Figur darstellenden Zeichnungen sind in dieser Ausstellung erstmals zentrales Thema.
Pichler erlag bei diesen Zeichnungen nie der Gefahr autobiografisch Gefühliges zu vermitteln. Auch jene Blätter, bei denen man aus Kenntnis seiner Biografie Persönliches dokumentiert sieht, sind stets einer allgemeinen Archaik des Menschlichen verpflichtet. Eine an den Konstruktionszeichnungen für Skulptur und Architektur geschulte Präzision bewahrt ihn auch bei seinen Menschendarstellungen – auch den erhabeneren, ans Herz gehenden oder surrealen Situationen – vor pathetischer Expression. „Die Dialektik seines Umgangs mit dem Bleistift, der Tusche und den Temperafarben hängt mit der Funktion zusammen, die ihnen Pichler zumißt“, schreibt treffenderweise Klaus Gallwitz 1996 anlässlich der Doppelausstellung „ Joseph Beuys, Walter Pichler: Zeichnungen“.
Mehr noch als das skulpturale Werk, welches auf Walter Pichlers Wunsch den für es geschaffenen Kontext in St. Martin auf Dauer nicht verlassen wird, müssen sich die Zeichnungen nun autonom behaupten. Dass sie dies auf höchstem Niveau vermögen, veranschaulicht die Ausstellung und der hier vorliegende Katalog.
Noch bis zum 24. November ist WALTER PICHLER auf der 55. Biennale in Venedig in der von Massimialo Gioni kuratierten Ausstellung „Il Palazzo Enciclopedico“ prominent vertreten.
Sadly, our second exhibition featuring works by Walter Pichler is a posthumous one. Still during his lifetime we asked the artist for a further presentation, euphoric over his tremendous exhibition in MAK 2011 and still deeply impressed by our own first show with Pichler, with which we were able to open our new gallery space Am Kupfergraben in 2007. “Es ist doch der Kopf” was how Pichler had entitled the exhibition. Beginning with his work on the sculpture “Schädeldecke (wie ein Gebäude)” (Top of the skull [like a building]), the artist looked through his entire oeuvre of drawings for works on the subject of head and found an astonishing amount – from early architectural plans through dreamlike sketches to spatial situations. This them atic approach, of researching within his own work for a certain aspect was a new way for Pichler to work, after all, to date his exhibitions were either organized as museum retrospectives or devoted to the current architectural project.
For this second exhibition, together with Elfi and Anna Tripamer we have chosen the same unusual approach for Pichler, conceiving a renewed theme instead of focusing on an architectural project and the corresponding drawings.
We gave thought to what theme repeatedly emerges in Pichler’s oeuvre over the decades, what aspect runs through the entire work, and yet was never the focus of an exhibition. The most important challenge in Pichler’s considerations, also his most important architectural challenge is man and being human, “as evidenced by the large number of drawings of the figure and the dualistic principle of sculpture/architecture,” states Bärbel Vischer in the catalog at the MAK 2011. The human dimension is characteristic to all of his post-utopian architectural models. It is not without ground that the nucleus of his sculptural and architectural creativity is a farm, built by people and housing the history of generations of people, later of himself and his own family. Thus the human figure is the subject according to which we+ selected the exhibited drawings and sculptures from the entire period of his artistic creativity. Rather uncon sciously we seek to complete the preceding “head-based” presentation, demonstrate a holistic approach in contrast to a view restricted to tops of skulls. Walter Pichler was himself a deeply holistically thinking and working man and artist, and hopefully he would have liked this concept.
The sculptural core of the exhibition is formed by the sculptures “Bett” (Bed), “Kleiner Rumpf” (Small Rump), “Alte Figur” (Old Figure), “Schlafender” (Sleeping Man) and “Der dritte Vogel” (The Third Bird). Man is born and he dies. Inbetween he lives, loves, works and sleeps. He lies down, sits, stands and walks. And if he is devout and has lived a decent life then maybe he will to Heaven.
The catalogue is consciously devoted to the drawings. Already from the early 1970s drawing liberated Pichler from his architectural and sculptural works, thus for 40 years his drawings have been more than just a by-product. In this exhibition for the first time drawings depicting the human figure are the central theme.
In these drawings Pichler never fell into the trap of trying to convey autobiographical sentiments. And those works that might be seen in light of his biography as documenting personal matters, are always committed to a general archaic of the human. A precision trained by his construction drawings for sculpture and architecture also kept him in his depictions of people from succumbing to pathetic expression even in the more sublime, heart-warming or surreal situations. “The dialectics of his handling of pencil, ink, and tempera colours is connected with the function that Pichler assigns them”, was the apt comment by Klaus Gallwitz 1996 in relation to the joint exhibition “Joseph Beuys, Walter Pichler: Zeichnungen”.
More than the sculptural work, which in keeping with Pichler’s wish will not permanently leave the context created for it in St. Martin, the drawings must now assert themselves autonomously. The exhibition and this catalogue demonstrate that they are highly successful in doing just that.