Es fing also alles noch einmal an – die Zerbrechlichkeit der Nacht und die Zerbrechlichkeit der Eier, auf die wir uns voller Mut immer wieder einlassen. Und wie bei jedem Neuanfang gab es einen Punkt, an dem aus dem Chaos bestimmte Strukturen entstanden und, weiter noch, diese durch bewusste Entscheidungen herbeigeführt wurden. An diesem Punkt sind wir noch lange nicht.
Die Milchstraße tropfte sanft und weiß ins All. Und obwohl sie noch nicht zu sehen war, wussten wir ja, wie es war: Alles spiegelt alles, die Sterne von oben die Sterne von unten, die Milch, die Milch von hier unten. All das passierte die ganze Zeit, während wir umherirrten in der Zerbrechlichkeit der Stunde wie Blätter im Wind, deren Adern sich auf der verschrumpelten braunen Oberfläche immer noch feingliedrig gegen das Licht abhoben.
Es war die blaue Stunde und die meisten Dinge waren schon ziemlich dunkel, aber der Spaß vom Tag, auch wenn es nur der von einem einzigen Witz war, klebte noch deutlich in den Falten. Bäume gab es jetzt überall. In den Städten konnte es passieren, dass ein Fluss für eine Weile komplett unterirdisch durch einen U-Bahnschacht verlief. Da stand dann ein U-Bahnschild mitten in einem Wald, und der dazugehörige Eingang zum U-Bahnhof lag wie ein rauschender Teich neben diesem Schild. Und ich hatte kein größeres Bedürfnis, als in einen dieser Teiche hinab zu steigen. Oft ging ich einige Stufen runter und nahm ein Bad in einem U-Bahneingang.
Und als ich so in den dunklen Wald schaute und mich am Geländer festhielt, damit ich nicht in den Schacht gezogen wurde, [In welchen Wald möchtest du gehen?] sah ich vor meinem inneren Auge ein Klappmesser zwischen den Bäumen aufblitzen. [Welche Gefahren machen dich an?] Tatsächlich kam aber ein Pferd aus dem Wald. Wenn Pferde sich bewegen, kriegt man ja manchmal den Eindruck, dass ihre Bewegungen nicht genug Platz in der Zeit hätten und sich deshalb in einer anderen abspielen würden. Natürlich ist das nur eine Illusion. [Das Knarren von dem Holz einer Maschine, die dafür gebaut wurde, dich an deine Grenzen zu bringen.] Aber so war es auch diesmal. Es war die blaue Stunde, und während viele Dinge schon dunkel waren, wurde der Teich zu einer hellblauen Masse, in der ich lag und von der das Pferd trank. [Und die Splitter fliegen mittenrein, wo sie dann zu Schmetterlingen werden, die sich süß auf deine Schleimhäute setzen.]
Text: Theresa Patzschke
Auszug aus dem Katalog: Tobias Spichtig „Pretty Fine“ Ausstellungskatalog Contemporary Fine Arts
Erschienen im Snoeck Verlag, Köln 2020, 32 Seiten, Softcover, illustriert
Tobias Spichtig (geb. 1982 in Sempach, Schweiz) lebt und arbeitet in Berlin.
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So everything started over – the fragility of the night and the fragility of the eggs we entrust our selves to in good faith again and again. And as with every new beginning there was a point when certain structures emerged from the chaos and, beyond that, as the consequences of deliberate acts of will. For us, however, that point is still far away.
The Milky Way poured gentle and white into space. Although we couldn’t see it yet, we knew the way things are: everything reflects everything, the stars above the stars below, the milk up there the milk down here. All of this was happening all the time while we wandered around in the fragility of the moment like leaves in the wind, the fine veins on their wrinkly brown surfaces still distinct against the light.
It was the blue hour and most things were already pretty dark, but the joy of the day, even if it was only that of a single joke, still stuck clearly in the folds. Trees were now everywhere. In the cities it was possible for a river to run completely underground for a while through a subway tunnel. The subway sign then stood in the middle of a forest and next to it the entrance like a swooshing pond. I wanted nothing more than to go down into one of these ponds, and I often descended the first few steps of a subway entrance and took a bath.
And while I was looking from here into the dark forest and holding on to the railing so that I wouldn’t be pulled into the shaft [which forest would you like to enter into?] I saw before my mind’s eye the flash of a switchblade between the trees. [Which dangers turn you on?] What actually happened was that a horse came out of the forest. When horses move, after all, you sometimes think that their movements don’t have enough space in time and so take place in another dimension. That’s just an illusion of course. [The creaking wood of a machine that was built to take you to your limits.] But that’s how it was here too. It was the blue hour and while many things were already dark, the pond became a bright blue volume in which I lay and from which the horse drank. [And the splinters fly right into the center where they become butterflies that land sweetly on the mucus of your membranes.]
Text: Theresa Patzschke (translated by Alex Scrimgeour)
Excerpt from the catalogue: Tobias Spichtig „Pretty Fine“ exhibition catalogue Contemporary Fine Arts
Published by Snoeck Verlag, Cologne 2020, 32 pages, softcover, fully illustrated.
Tobias Spichtig (born 1982 in Sempach, Switzerland) lives and works in Berlin.
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