Zwischen Bild und Text oder „freier Kunst“ und „wissenschaftlicher Prosa“ liegen die Dinge genauso schlecht, wie das Klischee von der erotischen Muse und dem Professor mit Lupe es will. Wenn nicht schlimmer, denn die Wirklichkeit ist bekanntlich einfallsreicher als die Phantasie. Daher scheint es ratsam, dieses Gefahrengebiet zu meiden. Andererseits indiziert die Häufung der Ausrutscher und „Unfälle“ eine produktive Quelle, und sicherlich hält Raymond Pettibon sich deshalb dort auf, denn was immer bislang über seine Kunst gesagt wurde: Er vermischt nicht nur Zeichnung mit Sprache oder animiert Ikonen und Parolen mit dem Schwung seiner Schrift. Er ist vielmehr ein Spezialist der Zwischentöne, ein Meister der Ungereimtheit, ein Virtuose der unpassenden Bemerkung.
Seine Bilder entstehen, wo er Figuren und Zeichen, die das offizielle und private Denken bevölkern, zum neuerlichen Auftritt bewegen kann, und er nimmt sie in jeder Facette ihrer Intentionen. Ob nun reaktionär oder konservativ, engagiert oder neo-puritan, korrekt oder feministisch, merkantil oder intim, religiös oder universitär, affektiv oder intellektuell, und selbst wenn sie nur eingebildet sind oder ganz unfreiwillig sprechen. In den ersten Jahren seiner publizistischen Aktivität wollte er das Publikum – das war um 1980 überwiegend die no illusions generation des Punk – nur mit der Ahnung versorgt wissen, dass die Radikalität in seinen „Ansichten“ nicht ganz so selbstgefällig zu Werke ging wie in ihren. Mittlerweile aber durchqueren seine Produkte das Feld der Kunst, und dort ist das Fell etwas dicker mit Empfindsamkeit und anderen Wertsachen gestopft. Im Gegenzug hat er den Schutz ironischer Distanz abgelegt.
Raymond Pettibon, Jahrgang 1957, ist in Hermosa Beach, Los Angeles, aufgewachsen, nicht weit von einem der schönen Strände, an denen der Pazifik sein Treibgut zurück aufs Land der unbegrenzten Möglichkeiten wirft. Und immer noch meint die Sonne es hier an jedem Tag des Jahres gut mit dem Genuss der Freizeit, ob nun als Vergnügen in den Wellen des Meeres, der Mode, der Musik oder des Films. Raymond Pettibon hat sich in all diesen Medien bewegt. Er war ein Surfer, der am Morgen auf der jüngsten „New Wave“ die Linie zog, die an ihrem Höhenflug vollkommen ungerührt hinabfuhr. Tagsüber schien er das art-work eines Plattenlabels zu garantieren und am Abend war er der Mann mit der Kamera, der die Wunschbilder des Underground durchschritt; hier portraitierte er den bewaffneten Kampf der Weathermen in Unterhose oder die Tochter eines mächtigen Medienzars, vom Entführungsopfer zur Soldatin der Symbionese Liberation Army bekehrt. Dass er seit Neuestem in Manhattan lebt und aus dem 38sten Stock über die Canyons der Großstadt blickt, mag theoretisch Sinn machen, wäre er damit doch im Zentrum des Marktes angekommen, der seinen Bildern in den letzten Jahren eine erstaunliche Bekanntheit verschaffte. Die Musikszene verwehrte ihm dergleichen so zuverlässig, wie sie jeden seiner Beiträge verwertete, ohne genauer hinzusehen oder nachzuforschen. Die Kunstwelt liebt vor allem seine Wellenreiter, in blauen Farben auf Papier; er aber bleibt den Ritualen des Galerienviertels fern.
Die Zeichnungen von Raymond Pettibon nehmen ihren Ausgangspunkt in der plakativen Selbstverständlichkeit eines Propagandaprodukts. Sie sollen an ihrer Außenseite so einfach und verführerisch, so schlüssig und einleuchtend sein, dass sie sich in den Köpfen als eigene Idee niederlassen. Auch er schätzt die Mischung aus Stereotyp und Irritation, setzt eingängige Worte neben bekannte Motive. Er zieht seine Figuren in schwarzer Tinte aus dem Bilderstrom und gibt ihnen Sätze, die sich als ein flüssiger Gedanke ihrer Probleme lesen, eine Sprache, die leicht im Gefälle einer Melodie dahingeht, vertraut und möglicherweise tatsächlich einem Stück viel gelesener Literatur entliehen. Und zumeist fallen gleich daneben schon die nächsten Worte aufs Blatt, mit einer anderen Stimme, mit anderen Überlegungen und Begriffen, und langsam kommt das ganze Ensemble aus Klecksen, Kontrasten und Reflexlichtern unter Spannung. Konstellationen, die eben noch im Rahmen einer stabilen Szene standen, treiben auseinander. Die Zeilen der Schrift brechen ab, und lose Pinselstriche – in den Akteuren wie die Unordnung einer betrunkenen Ansprache – entkoppeln den Rest. Am Ende hat auch der Anfang seine Eindeutigkeit verloren und jede Linie, ob nun im Lauf einer Geste, im Flackern eines Gesichts oder in den sprunghaften Stöcken seiner Buchstaben, ist seiner Bestimmung entglitten.
In den Bildern von Raymond Pettibon sind die Unstimmigkeiten immer etwas gröber oder deutlicher, als einem Technokraten der Propaganda recht sein kann. Zum Teil nutzt er für seinen Einstieg ins Unpassende die kleinen Unterschiede, die zwischen Bild und Text ohnehin den Ausgleich stören. Das aber würde nicht reichen, denn er stellt seine Figuren ganz bewusst über Bruchlinien auf. Ist die erste Lücke gesetzt, schiebt er sie wie ein ferngesteuerter Regisseur mit weiteren Lücken auseinander, treibt Fehler um Fehler in ihnen hervor, wobei Vordergrund und Nachhaltigkeit in beide Richtungen „nachgeben“ müssen, in Richtung Unglaubwürdigkeit und stimmiger Einfachheit. Daher die vertraute Aufmachung seiner Akteure: Mann mit Waffe, Frau nackt, Hippie mit Messer, Gangster aus hartem Schnitt. Im Inneren ihres Wiedererkennungswerts drängen sie ohne Umschweife zur Sache, um schon im nächsten Schritt die Grenze der einfachen Deutung zu überschreiten. Punks sind unversehens verträumt und schwul, Frauen werden zu gnadenlosen Richtern und Opfern der eigenen Handlungsmacht, Gunmen kommen als Muttersöhnchen ins Grübeln – eine Entblößung, die Pettibon dennoch mit zu deutlicher Übertreibung aufmacht, denn er weiß: Auch der Wunsch nach einer Distanz, die den Kitsch mitdenkend durchschaut haben will, hängt letztlich dem verachteten Klischee an.
Wer Raymond Pettibons Bildwelt im Rahmen einer politischen Moral etablieren will, die heute das Gute auf ihrer Seite glaubt, und sie den entsprechend renovierten Kategorien einpasst, kann sie lediglich zu „entschulden“ versuchen. Natürlich ließe sich erklären, dass es mit den Klischees – der harten Jungs und nackten Frauen – bei ihm etwas komplexer zugeht, dass die „falschen Bilder“ auf seiner Bühne immer den eigenen Überzeugungen auf den Leim gehen. Aber die Grundlage, seinen politischen Atheismus, wird eine solche Annäherung unweigerlich verfehlen. Und die Anleitung zur richtigen Orientierung im aktuellen Konsens enthalten seine Zeichnungen ohnehin: Als einen der vielen Irrtümer, in denen die Figuren seiner Geschichten sich begegnen.
Things are as bad between image and text, “free art” and “scholarly prose” as the cliché
of the erotic muse and the professor with the magnifying glass suggests. If not worse because it is well known that reality is often more inventive than the imagination. Therefore, it seems advisable to avoid this danger area. However, the cumulation of gaffes and “accidents” indicates a productive source, and this is probably why Raymond Pettibon spends time there, because whatever may have been said about his art so far: he does not just mingle drawing and language, or animate icons and slogans with the panache of his writing. Rather, he is a specialist for nuances, a master of the puzzling, a virtuoso of the remark that does not quite fit.
His pictures come about where he can motivate figures and signs that populate official and private thinking to take another ride, and he takes them in every facet of their intentions. Whether reactionary or conservative, committed or neo-puritan, correct or feminist, mercantile or intimate, religious or academic, active or intellectual, even if they are just imagined or speak quite involuntarily. In the first years of his activity publishing things, he wanted to equip the audience – and that was around 1980 largely the no illusions generation of punk rock – with an inkling that the radicalness in his “views” was not quite as smug as theirs. By now, however, his products cross the field of art, and there the skin is a little thicker, filled with sensibility and other valuables. In return, he abandoned the protection of ironic distance.
Raymond Pettibon was born in 1957 in Hermosa Beach, Los Angeles, not far from one of the beautiful beaches where the Pacific Ocean throws its flotsam back to the Land of Opportunities. And still, every day, the sun shines on the enjoyment of leisure time, be that as pleasure in the waves of the ocean, of fashion, music, or film. Raymond Pettibon has moved in all these media. He was a surfer who drew a line in the morning on the latest “new wave” that at its peak went down completely unmoved. During the day, he seemed to guarantee the art work of a music label, and in the evening, he was the man with the camera who strode the ideals of the underground; there, he portrayed the armed struggle of the weathermen in underpants or the daughter of a powerful media baron, converted from a kidnapping victim to a soldier of the Symbionese Liberation Army. That he recently moved to Manhattan and now looks over the canyons of the city from the 38th floor might make sense in theory because it would mean that he arrived at the centre of the market that has given his pictures a remarkable popularity in recent years. The music world denied that to him while at the same time using all his contributions without taking a closer look or doing any research. The art world loves above all his surfers, in blue on paper; but he stays away from the rituals of the art market.
Raymond Pettibon’s drawings take their point of departure in the blatant confidence of a propaganda product. On the outside, they are supposed to be so simple and seductive, convincing and plausible, that they settle in people’s minds as their own ideas. He also values this mixture of stereotype and confusion, placing catchy phrases next to well-known motifs. He pulls his figures in black ink from the stream of images and gives them phrases that read as a fluid thought of their problems, a language that flows easily in the slope of a melody, familiar and possibly actually borrowed from a piece of much read literature. And usually right next to this, the next words land on the paper, in another voice, with new thoughts and notions, and slowly a tension arises in this entire ensemble of splotches, contrasts, and reflected lights. Constellations that just a moment ago were framed by a stable scene now drift apart. The lines of the writing are interrupted, and loose brushstrokes – in the players like the disorder of a drunken speech – uncouple the rest. In the end, the beginning has also lost its unambiguousness, and every line, be it in the course of a gesture, in the flutter of a face, or the jumpy lines of his letters, has slipped away from its purpose.
In Raymond Pettibon’s drawings, the inconsistencies are always a little more obvious than a technocrat of propaganda would like. Sometimes he uses the small differences that upset the balance between image and text as an entry into the unsuitable. But that would not be sufficient because he places his figures quite consciously above fault lines. Once the first gap is placed, like a director on remote control, he pushes it apart with further gaps, teases mistake after mistake from them, a process where foreground and sustainability must “yield” in both directions, in the direction of incredibility and coherent simplicity. Hence the familiar getup of his actors: man with weapon, nude woman, hippie with knife, tough gangster. Inside their recognition value, they mean business without much ado, only to cross the border of simple interpretation in the next step. Punks are suddenly dreamy and gay, women become merciless judges and victims of their own agency, gunmen turn into mother’s boys and start to ponder things – an exposure that Pettibon pursues with an exaggeration that is too obvious because he knows: even the desire for a distance that wants to have seen through the kitsch in the end adheres to the despised cliché.
Those who wish to establish Raymond Pettibon’s pictorial world within the frame of a political morality that today believes the good is on its side, and thus fit it into the accordingly renovated categories, can merely try to “exonerate” themselves. Of course we might explain that with him, the clichés – the tough guys and naked ladies – are somewhat more complex, that the “false images” on his stage are always taken in by his own convictions. But such an approach will inevitably miss the foundation, his political atheism. And at any rate, his drawings contain instructions for the proper orientation in the current consensus: as one of the many errors in which the characters of his stories encounter one another.