Contemporary Fine Arts freut sich, die Ausstellung Little Cody mit neuen Werken von Anselm Reyle zu präsentieren. Der 1970 in Tübingen geborene Künstler studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Stuttgart sowie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste, Karlsruhe. Seit 1997 lebt und arbeitet er in Berlin und hat eine Professur an der HfbK in Hamburg inne.
In seinen jüngst entwickelten Arbeiten favorisiert Anselm Reyle figurativ-gegenständliche Motive, deren Vorlagen auf dem bekannten Prinzip Malen nach Zahlen basieren: Der Bildgegenstand ist einem Puzzle vergleichbar in einzelne, mit Nummern versehene Partien zergliedert. Jeder Zahl wird ein bestimmter Farbton zugeordnet, der im Zusammenspiel mit den anderen ausgemalten Feldern ein homogenes Erscheinungsbild ergibt und dem Ausführenden zum eigenen Kunstwerk verhilft – eben Malen nach Anleitung mit einer detaillierten Gebrauchsanweisung. Das jeweilige Motiv bildet bei Reyle zwar die Hintergrundfolie der Komposition, erfährt jedoch keine naturalistische Nachahmung, sondern eine abstrahierende, teils comic-hafte Darstellungsweise.
Seriellen Bausteinen vergleichbar ist die Mehrheit der einzelnen Felder mit Materialien und Farben gefüllt, die der Betrachter aus früheren Arbeiten, wie den Streifenbildern und Otto-Freundlich-Bildern wiedererkennt – ergänzt von Partien, deren Duktus an frühere gestische Arbeiten Reyles erinnert. Trotz ihrer Aufsplitterung und Verfremdung bleiben die Figuren in ihrer Gestalt erkennbar und geben dem Betrachter ihre Herkunft preis. Konträr zu den gemalten Vorbildern sind Reyles Werke einer Collage vergleichbar aufgebaut – es wird gemalt, aufgeklebt, gesprayt und wieder ausgeschnitten. Vertikal verlaufende Farbspuren und einzelne Tropfen durchbrechen dem eines Malen-nach-Zahlen Bilds inhärenten Anspruch nach Perfektion. Ähnlich wie bei den während der 60er Jahre entstandenen „Do it yourself“-Paintings von Andy Warhol bestimmen die schwarzen Umrisslinien auch hier die vorgegebene Komposition. Einzelne Felder bleiben unbearbeitet, sind (noch) mit Zahlen versehen und unterstützen den demonstrativen Eindruck einer mechanischen Fertigungsweise, die unserer Vorstellung des romantischen Künstlerideals kontrastiv entgegentritt. Im Unterschied zu diesem eher unpersonali-sierten Verfahren kennzeichnet Anselm Reyle die Bilder mit seinem typischen Signé – einem Klecks mit Farbtropfen – und dokumentiert dadurch ihren Originalitätscharakter.
Neben den versammelten Tierportraits sind auch einige abstrakte Malen-nach-Zahlen Bilder vertreten. Anselm Reyle greift hier Ausschnitte aus den erwähnten Motiven heraus, vergrößert diese zoomartig und lenkt den Betrachterblick dadurch auf zuvor eher vernachlässigte, unbemerkt gebliebene Details.
Neben den Malen-nach-Zahlen Bildern zeigt Anselm Reyle in der Ausstellung erstmals eine eigene Sofakollektion und verwandelt damit das zweite Geschoß des Chipperfield-baus am Kupfergraben in ein schräges Interieur, das assemblageartig die vielfach ironisch belächelte Beziehung zwischen Bild und Sofa hinterfragt. Das Sofabild als bürgerliche Trophäe und Aushängeschild des jeweiligen Besitzers erfährt hier eine ungeahnte Konkurrenz durch das Sofa selbst. Reyle präsentiert es nicht primär als Möbelstück und Teil des Kunsthandwerks, sondern als skulpturales Objekt auf einem Sockel – seinem Gebrauch und einer Vereinnahmung durch den Betrachter entzogen.
Ein entscheidender Faktor bei der Entstehung dieser neuen Werkgruppe ist die Auseinandersetzung mit Memphis Design, das dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum feiert. Der sich zu Beginn der 80er Jahre um Ettore Sottsass gruppierende Kreis von italienischen Designern kehrte sich gegen das vorherrschende Primat des Funktional-ismus mit seiner puristischen, rational-technoiden und formalen Gesetzen gehorchenden Bildsprache. Stattdessen proklamierten sie einen neuen narrativ-poetischen Design-Stil, zu dessen Hauptmerkmalen die Vermischung von erhabenem Dekor und trashigen Pop-Elementen, ein hemmungsloser Umgang mit überbordenden Formen und skrupellosen Farbkombinationen zählen. Billige Materialien und Fundstücke aus dem Alltag wurden ebenso integriert wie bekannte Design-Ikonen, darunter Stühle von Thonet und Macintosh, deren ironische Umgestaltung und Formerweiterung durch verfremdende Applikationen einen kritischen Widerstand hervorrief.
Bei den hier gezeigten Sofas unterliegt das Auge durch die ungewohnt-schrägen, vordergründig disharmonisch anmutenden Farb- und Materialkombinationen mühelos der Verführung: Ähnlich einer Patchwork-Struktur treffen kühl, elegant wirkende Stoffe auf grün-braunes Krokodillederlederimitat, Leopardenfell und gelben Flokatihintergrund. Glatte Flächen wie die an eine neobarocke Tapisserie erinnernde florale Ornamentik in Kupfer grenzt an plüschig-weichen, silbernen Teppichstoff durchzogen von einer deutlich sichtbaren Naht in Neonpink. Fundstücke aus dem 80er Jahre Design verwandeln sich zu Skulpturen, die an eine dreidimensionale Farbfeldmalerei erinnern. So wie die Objekte von Memphis den Rezipienten irritieren, da sie nicht dem gewohnten Schönheitsideal entsprechen, setzen auch Reyles Arbeiten auf effektvolle, sinnliche Farbgebungen mit einem reichhaltigen, spannungsvollen Oberflächenspektrum. Sie folgen anderen Kompositionsstrukturen als der stereotypen Möbelhausgarnitur des bürgerlichen Wohnglücks und sind doch in ihrem Erscheinungsbild homogen-ästhetisch. Diese von Reyle in den Ausstellungskontext transportierte Infragestellung und Neuinterpretation des klassischen Interieur-Gedankens mit seiner bürgerlichen Gemütlichkeit setzt sich in seinen Neoninstallationen und neuen Folien-Neon-Bildern fort.
Kennzeichnend für seine Arbeiten ist der Versuch, aus einer häufig gesellschaftlich konstitutierten Hermetik auszubrechen und ein Verständnis auf mehreren Ebenen zu ermöglichen. Das klassische Interieur mit Sofaecke, Tafelbild und Skulptur hat seine übliche Form und Funktion verändert, ist zum selbstständigen Kunstobjekt mutiert und regt zu einer Reflexion der eigenen Sehgewohnheiten an. (Ursula Ströbele)
Contemporary Fine Arts is pleased to present the exhibition Little Cody with new works by Anselm Reyle. The artist, who was born in 1970 in Tübingen, studied at the Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart and the Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. He has been living and working in Berlin since 1997, and he is a professor at HfbK in Hamburg.
In his most recent works, Anselm Reyle has been favouring figurative-concrete motifs that are based on the well-known painting-by-numbers principle. It is comparable to a puzzle, divided into different parts with numbers. Each number has a certain colour shade assigned, which in concert with the other filled-in fields results in a homogenous appearance, enabling the person doing the colouring to create their own artwork – painting by following detailed instructions. For Reyle, the motif is the background foil of the composition, but it is not executed in a naturalistic manner, but rather in an abstracting, sometimes comic-like way.
Comparable to serial building blocks, the majority of the individual fields is filled with materials and colours that the beholder recognizes from earlier works such as the stripe pictures and the Otto Freundlich paintings – complemented by sections whose flow is reminiscent of Reyle’s earlier gestural works. In spite of their being split up and alienated, the figures remain recognizable in their form, revealing their origin to the beholder. In contrast to the painted models, Reyle’s works are structured like a collage – he paints, glues, sprays, and then cuts things out again. Vertical traces of paint and individual drops disrupt the claim to perfection that is inherent to painting by numbers. Similar to Andy Warhol’s do-it-yourself paintings from the 1960s, the black contours determine the given composition. Individual fields are left blank, their numbers are (still) visible und thus support the pointed impression of a mechanical production, which counters our notion of a Romantic ideal of an artist. In contrast to this rather depersonalized method, Anselm Reyle marks the paintings with his typical sign, a splotch with drops of paint – and thus documents their originality. In addition to the assembled animal portraits, there are also several painting-by-numbers abstract paintings. Here, Anselm Reyle singles out sections of the above-mentioned motifs, enlarges them zoom-like, and thus draws the beholder’s attention to previously neglected or unnoticed details.
In addition to the painting-by-numbers pictures, Anselm Reyle shows in this exhibition for the first time a collection of sofas designed by him, transferring the second floor of the Chipperfield building on Kupfergraben into a strange interior, an assemblage that questions the relationship between a painting and a sofa, so frequently mocked. The painting above a sofa as a bourgeois trophy here enters into competition with the sofa itself. Reyle does not present it primarily as a crafted piece of furniture, but rather as a sculptural object on a pedestal – so that it cannot be used or appropriated by the beholder. A decisive factor in the creation of this new group of works is an engagement with Memphis design, which celebrates its 30th anniversary this year. The circle of designers, which formed in the early 1980s around Ettore Sottsass, turned against the primacy of functionalism with its purist, rational-technoid, and formal vocabulary. Instead, they proclaimed a new, narratively poetic style of designing, and among its main characteristics are mixing grand décor and rather trashy pop elements, an unrestrained use of exuberant forms and unscrupulous colour combinations. Cheap materials and found pieces from everyday life were integrated quite as much as well known design icons, among them chairs by Thonet and Macintosh, which were ironically redesigned and had applications added to them, all of which gave rise to critical resistance.
The unusual and rather odd combinations of colours and materials of these sofas, which at first sight seem disharmonious, effortlessly seduce our gaze: similar to a patchwork structure, cool, elegant fabrics meet greenish-brown fake crocodile leather, leopard skin, and a yellow shag background. Smooth surfaces like the floral ornaments on copper, reminiscent of neo-baroque tapestry, borders on plush, soft, silver carpet material with e clearly visible brightly pink seam. Found pieces of 1980s design are metamorphosed into sculptures reminiscent of three-dimensional colour field paintings. Just as the objects by Memphis confound the beholder because they do not conform to the usual ideals of beauty, Reyle’s works also rely on dramatic, sensual colours with a rich and varied spectrum of surfaces. Their compositional structures do not by any means adhere to any stereotypical furniture design available from high-street stores, typical of bourgeois interiors, and yet in their appearance they represent a homogenous aesthetics.
This questioning and reinterpretation of the classic notion of the interior with its bourgeois idea of comfort or Gemütlichkeit, which Reyle transports into the exhibition context, is continued in his neon installations and new foil-neon pictures. Characteristic for his works is the attempt to break out from a frequently socially constituted hermeticism and to thus enable an understanding on several levels. The classic interior with a sofa, a picture on the wall, and a sculpture has changed its usual form and function, has mutated into an independent art object, and invites us to reflect on our own habits of seeing. (Ursula Ströbele)