Contemporary Fine Arts freut sich, Jonathan Meese mit einer Ausstellung von Gemälden aus dem Jahr 2006 zu würdigen – eine Zeit, als der Künstler sich in einer Hochphase seines Schaffens befand.
Heute könnte man fast meinen, über Jonathan Meese sei alles gesagt, so immens ist der Output seiner künstlerischen Laufbahn, die 1998 auf der Berlin Biennale ihren Anfang nahm. Seitdem wurde er mit unzähligen Kommentaren, Einordnungen und Kritiken bedacht, die dem Titel seiner Biennale-Arbeit „Ahoi de Angst“ beinahe eine prophetische Ebene verleihen – als hätte Meese geahnt, dass er durch weite Gewässer segeln würde.
„Ahoi de Angst“ war ein labyrinthisches Panoptikum voller Jugendhelden, durch das man wandelte wie durch Gehirnwindungen eines totalen Fans; wild bespickt mit Fotos und Postern von Klaus Kinski, Che Guevara, Bill Clinton oder Romy Schneider, hingen dazwischen Poster voller hingeschmierter Figuren- und Wortmalereien, Selbstportraits und Sensenmänner, stümperhaft versehen mit Worten wie „Clan of Clan“. Es gab einen Fernseher, eine Discokugel, ein Sofa und einen Plattenspieler. Das Ganze war ein energetisches Allover aus Kult und Kitsch, Hochkultur und Softporno, Tragik und Komödie – und stand bereits genau für das, was Meese bis heute ist: Ein Künstler, der seine eigene Person in den Dienst der Kunst stellt und damit hinter das Werk zurücktritt.
Allerdings erschließt sich dieser universelle, gar unpersönliche Anspruch nicht auf den ersten Blick. Die virilen, dunkel tönenden Namen, die sich als Leitmotive durch das Werk ziehen, zählen zwar zur bildungsbürgerlichen Allgemeinbildung. Doch Stalin, Hitler, Wagner, Nietzsche, Caligula, Alex de Large, Darth Vader und Lautréamont münden jenseits jeden Zusammenhangs in absurde Titelschöpfungen für konturlose, dickfarbige, collagierte, fragmentiert-figürliche Bildwelten, wie sie auch in der ausgestellten Portraitserie zu sehen sind: Einigermaßen sinnbefreit, im pubertierenden Gralsrittersound grollend, heißen die Werke dort „Im 8. Namen des Erzfisches“, „Dein Stahlblindes geortetes Geschlechtsteil riecht“ oder „Die Verdammtin im Tiertum“. Dass der übergeordnete Anspruch in diesen Bild-Text-Inszenierungen sich nicht jedem sofort erschließt, liegt daran, dass Meese immer wieder sein eigenes Konterfei und den eigenen Körper, eigene Jugendhelden und selbst die eigene Mutter ins Spiel bringt, sich selbst mit den historischen Größen verknüpft, ja sich sogar ihre Merkmale aneignet und ein groteskes Maskenspiel betreibt – gekrönt von naiv anmutenden, ostentativ wiederholten Provokationen mit Abformungen erigierter Penisse, Hitlergruß und düster schwelenden Präfixen „Erz“ und „Arch“. Aber was man für die Zurschaustellung eines inneren Pandämoniums halten könnte, hat mit Narzissmus nichts zu tun. Meese geht es nicht um Meese selbst. In spielerischer Hingabe beschwört er die totale Offenheit des Seins durch die „Diktatur der Kunst“, jenseits der Axiome starrer Regeln und Ideologien.
„Die Kunst hat ihre eigenen Gesetze, die wir gar nicht kennen. Wir versuchen, der Kunst immer unsere Gesetze aufzuzwingen. Und es ist viel interessanter einfach abzuwarten und zu schauen, was sie uns da vorsetzt“, hat Meese 2006 gesagt. Und: „Ich habe den sentimentalen Glauben, dass Kunst noch immer etwas Kraftvolles ist, etwas Individuelles, das sich gegen die enorme Bürokratie stellt, die alles übernimmt.“ Meese sieht die Kunst als vom Künstler unabhängige Größe, als Denk- und Handlungsalternative zu immer härter werdenden Alltagsregularien. Doch kann die Kunst alleine existieren – jenseits eines Schöpfers, der ihre Gesetze bestimmt?
Tatsächlich liegt die Crux von Meeses Kunst – egal in welchem Medium er arbeitet – in der Verteidigung ihrer Mythen und Archetypen, die ein universelles Weltbild kreieren, das über den Einzelnen, auch über ihn als Künstler, hinaus reicht. Für Meese muss der Künstler der Kunst und damit den Menschen dienen, also keinen Selbstausdruck betreiben – weshalb immer wieder Figuren auftauchen, die diese Allgemeingültigkeit verkörpern; es sind repräsentative, detaillose Charaktere, von denen er keine individuellen Erzählungen, sondern deren Essenz er freilegt. Durch die Übertragung dieser Essenz in die Kunst kann Meese mit solchen Stereotypen spielen – auch in Kombination mit dem Selbstportrait, das niemals persönlich und stimmungsbeladen wirkt, sondern wie alle anderen Figuren klischeehaft, hermetisch und auf schelmenhafte Weise mythendurchtränkt. „Die Selbstinszenierung der Künstlergestalt durch Meese [hat] etwas bewusst Exemplarisches, [er] stellt den Beispielcharakter des Künstlers in den Vordergrund“, erklärt Robert Fleck, der die Kraft seines Werks auf dessen „utopischen Charakter“ zurückführt. „Meese stellt sich mit all seiner darstellerischen Energie, die ihn auszeichnet, als die Summe aller Figuren und Namen der deutschen Mythologie bis zu Darth Vader dar“, so Friedrich Meschede. „Jonathan Meese ist in gewisser Hinsicht ein Gnostiker, einer, der jedoch auf seinem Erlösungsweg keine Pfütze und keinen Erdknollen auslässt und damit auf Schritt und Tritt dem Finsteren und Bösen begegnet, wobei er wie ein Chamäleon selbst dessen Schattierungen annimmt“, schreibt Veit Loers. Und Susanne Titz spricht von einem „Kollaps der Zeit“ in Meeses Werk, entstanden aus „reiner Kopfarbeit, zeitlos unklar, dabei vielfach anstößig, doch auf eine eigenartig beschwichtigende, weil Persönliches offenbarende Weise.“ Also doch persönlich?
Ja und nein. Meeses Bilderschlacht ist nicht aus einer Suchmaschine generierbar; sie entstammt einem individuellen Wahrnehmungsrepertoire. Doch eben das filtert und reduziert Meese so weit, bis er zum Kern der Dinge vordringt – so wie Picassos Frauenportraits und Van Goghs Selbstbildnisse nicht von der Illustration, sondern von der Transzendierung über das bloße Ego hinaus leben. Meese versteht sich als „Soldat der Kunst“ – als einer, der einem geistigen und ästhetischen Freiraum dient, die Möglichkeiten der Poesie freilegt und so dem Betrachter die Enge der Gesellschaft als Spiegel vorhält.
Contemporary Fine Arts is pleased to present an exhibition with work by
Jonathan Meese from the year 2006 – a time where the artist was at a peak of creativity.
Today, one might almost be tempted to think that there is nothing left to say about Jonathan Meese because the output of his artistic career, which started in 1998 at the Berlin Biennale, has been so immense. Since then, countless commentaries and reviews have been written about him, and he has been classified in numerous ways, all of which lend the title of his Biennale work, Ahoi de Angst, an almost prophetic quality – as if Meese had known that he would sail accross wide seas.
Ahoi de Angst was a labyrinthine cabinet of curiosities full of the heroes of teenagers through which one strolled like through the convolutions of a total fan’s brain; wildly outfitted with posters of Klaus Kinski, Che Guevara, Bill Clinton, or Romy Schneider, in between posters full of scribbled paintings of figures and words, self-portraits and Grim Reapers, dilettantishly annotated with phrases like “Clan of Clan.” There was a TV, a mirror ball, a sofa, and a record player. The whole thing was an energetic ensemble of cult and kitsch, sophisticated culture and soft porn, tragedy and comedy – and even then it stood for what Meese remains to this day: an artist who puts his own person at the service of art and thus retreats behind the work.
However, this universal, indeed impersonal standard does not seem obvious at first sight. The virile names with their dark connotations, leitmotifs in his oeuvre, are part of the educated middle-class canon. But Stalin, Hitler, Wagner, Nietzsche, Caligula, Alex de Large, Darth Vader, and Lautréamont, outside of any conceivable context, lead to absurd title inventions thickly painted, collaged, fragmented-figurative pictorial worlds without contours, qualities which are also displayed in the series of portraits exhibited. Rather emptied of meaning, rumbling in an adolescent sound reminiscent of the Knights of the Grail, the works there are called Im 8. Namen des Erzfisches [In the 8th Name of the Archfish], Dein Stahlblindes geortetes Geschlechtsteil riecht [Your Steelblind Located Genital Smells, or Die Verdammtin im Tiertum [The Female Dammed in the Animaldom]. That the superordinate claim in these image-text productions is not immediately clear to everybody is due to the fact that Meese frequently brings his own face and body, the heroes of his youth, and even his own mother into play, linking himself with the historical figures, even appropriating their traits and playing grotesque masques – crowned by seemingly naïve, ostentatiously repeated provocations like casts of erect penises, Hitler salutes, and darkly smoldering prefixes “Erz” and “Arch.” But what might easily be mistaken as the display of an inner pandemonium has nothing to do with narcissism. Meese is not interested in Meese himself. Rather, with a playful devotion, he evokes the total openness of being through the “dictatorship of art” – beyond the axioms of inflexible rules and ideologies.
“Art has its own laws which we don’t even know. We always try to force our own laws upon art. And it is much more interesting to simply wait and see what it will put in front of us”, Meese said in 2006. And: “I hold the sentimental belief that art is still something powerful, something individual that stems itself against the immense bureaucracy that takes everything over.” Meese sees art as a dimension that is independent of the artist, as a way of thinking and acting that is an alternative to the increasingly rigid everyday regulations. But can art exist independently – beyond a creator who determines its laws?
The crux of Meese’s art – regardless of what medium he works in – is the defence of its myths and archetypes which create a universal world image that goes beyond the individual, including him as an artist. For Meese, the artist must serve art, and thus humanity, and therefore s/he must not pursue any kind of self-expression. This is why in his work figures keep appearing that embody this universality; they are representative characters, lacking detail, whose essence he reveals, rather than telling individual narratives. By transferring this essence into art, Meese is able to play with such stereotypes – also in combination with the self portrait, which is never personal and weighed down with moods, but like all his other figures clichéd, hermetic, and in a mischievous way saturated with myth. “The self-staging of the figure of the artist by Meese has something consciously exemplary, he foregrounds the exemplary character of the artist”, explains Robert Fleck, who attributes the power of his work to its “utopian character”. “Meese presents himself with all his representational energy that characterises him, as the sum of all figures and names from German mythology to Darth Vader”, writes Friedrich Meschede. “In a certain respect, Jonathan Meese is agnostic, somebody, however, who on his path to salvation does not avoid any puddle and clod of soil, and who thus encounters the dark and evil wherever he goes, and takes on its shadows”, writes Veit Loers. And Susanne Titz speaks of a “collapse of time” in Meese’s work, originating from “pure mental work, timelessly unclear, at the same time in many ways offensive, but in a strangely conciliatory way because it reveals something very personal.” So – personal after all?
Yes and no. Meese’s battles of images cannot be generated from a search engine; it emanates from an individual perception repertory. But Meese filters and reduces this until he gets to the core of things – just like Picasso’s women’s portraits and Van Gogh’s self-portraits get their life not from illustration, but from transcending mere ego. Meese sees himself as a “soldier of art” – as somebody who serves a free intellectual and aesthetic space, reveals the possibilities of poetry and lyricism, and in this way holds up social limitations as a mirror to the beholder.